Barmer Krankenhaus-Report
Medizinisch nicht nachvollziehbar
Ältere Patienten werden in Deutschland nicht optimal versorgt – zu diesem Ergebnis kommt der Krankenhaus-Report der Krankenkasse Barmer. Betroffen sind demnach vor allem Geriatrie-Patienten.

VerpflegungsManagement, 08.08.2017 – In Deutschland liegen immer mehr über 70-jährige multimorbide Geriatrie-Patienten im Krankenhaus. In den Jahren 2006 bis 2015 stieg ihre Zahl um 80 Prozent, von 1,1 auf zwei Millionen Personen. Finanzielle Fehlanreize können jedoch dafür sorgen, dass Geriatrie-Patienten länger als nötig oder kürzer als erforderlich im Krankenhaus versorgt werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Barmer-Krankenhausreport 2017.

Hintergrund dieser Entwicklung ist die starre, an der Dauer des Krankenhausaufenthalts orientierte Vergütung für die sogenannte geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung (GFKB). Sie kann nach der Behandlung einer akuten Erkrankung direkt im Krankenhaus erfolgen und auch auf eine klassische Reha-Behandlung vorbereiten.

Die GFKB lässt sich nach Verweildauer und Anzahl der Therapieeinheiten unterteilen. Im Wesentlichen wird zwischen mindestens sieben, 14 und 21 Behandlungstagen differenziert. „Die starren Kodiervorgaben für die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung sind in ihrer jetzigen Form nicht mehr zeitgemäß. Die Dauer der Behandlung sollte sich stärker am individuellen Bedarf des Patienten und an medizinischen Kriterien orientieren“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub.

Die GFKB stellt eine struktur- und verweildauerabhängige Vergütungskomponente im Rahmen des DRG-Systems dar. Kliniken können eine höhere Pauschale abrechnen, wenn ein Patient mindestens zwei Wochen lang stationär die GFKB erhält. Dies stellt aus Barmer-Sicht einen Fehlanreiz dar. „Im Jahr 2006 wurden 58 Prozent der GFKB-Patienten nach 14 Tagen entlassen und im Jahr 2015 bereits 75 Prozent. Parallel dazu sank der Anteil sowohl bei der sieben- als auch bei der 21-tägigen GFKB deutlich. Aus rein medizinischer Sicht darf man zumindest ein großes Fragezeichen hinter diese Praxis setzen“, sagt Straub und fordert in diesem Punkt eine Weiterentwicklung des Vergütungssystems.

Straub mahnt, schon heute die nötigen Strukturen zu entwickeln, um in der Zukunft Geriatrie-Patienten adäquat behandeln zu können. Denn bis zum Jahr 2050 werde die Anzahl der Menschen in der Generation 70plus um 46 Prozent anwachsen, wodurch die Altersmedizin immer mehr Raum einnehmen werde. Wie aus dem Report hervorgeht, ist die Zahl der Geriatrie-Patienten mit einer GFKB allein in den Jahren 2006 bis 2015 um 180 Prozent gestiegen, und zwar von 79.600 auf 222.600 Patienten.

Medizinisch ebenfalls nicht nachvollziehbar sind laut Barmer die deutlichen Unterschiede bei der jeweiligen Versorgungsform im Bundesgebiet. Wie ein älterer Patient behandelt wird, hängt demnach auch davon ab, in welchem Bundesland er wohnt. Denn laut Report reicht der Anteil der Geriatrie-Patienten mit einer GFKB von 4,3 Prozent in Bayern bis zu 24,3 Prozent in Hamburg.

Für die Betroffenen sei das von großer Bedeutung, denn der Report lasse darauf schließen, dass das Behandlungsergebnis auch von der Versorgungsform abhänge. So werden von den Patienten mit einem Oberschenkelhalsbruch 47 Prozent nach einer Komplexbehandlung und lediglich 40 Prozent nach einer Reha pflegebedürftig. „Die GFKB im Akutkrankenhaus weist im Vergleich zur Versorgung in klassischen Reha-Einrichtungen einen geringeren Behandlungserfolg auf. Daher sollte die Komplexbehandlung nur dann zum Einsatz kommen, solange der Patient noch einer Krankenhausbehandlung bedarf. Dies hängt aber von dessen individuellem Gesundheitszustand ab“, sagte Straub. Zudem müsse stärker auf Prävention gesetzt werden, um zum Beispiel Stürze zu vermeiden, durch die viele Oberschenkelhalsbrüche entstehen.

Die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung (GFKB) greift in aller Regel bei multimorbiden Patienten über 70 Jahre nach der Behandlung einer akuten Erkrankung. Sie erfolgt im Krankenhaus und die Reha in einer klassischen Rehabilitationseinrichtung. Beide Versorgungsformen sollen dazu beitragen, dass der Patient zum Beispiel nach einer Operation oder einem Schlaganfall wieder so fit wird, dass er im Optimalfall weiterhin zu Hause ohne fremde Hilfe leben kann.

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